„Ein Raga ist das, was den Geist färbt.“ So drückte ein indischer Musiker aus, was einen Raga ausmacht. Ragas sind Tonskalen, deren verschiedene Intervalle jeweils eine bestimmte Wirkung und Bedeutsamkeit beinhalten. Aus ihnen erwachsen Melodien und Kompositionen, die verschiedenen Tageszeiten, Jahreszeiten oder auch Witterungsverhältnissen und sonstigen Stimmungen gewidmet sind. Pflanzengleich ranken sie sich um einen Grundton herum und wachsen klingend aus ihm heraus. Unser vegetatives Nervensystem reagiert über den Hör-Fühlsinn auf die jeweilige Wirkkraft eines Ragas. Man könnte sagen, unsere innere Pflanzenwelt beantwortet das dargestellte Wetter einer Melodie. Da gibt es Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Da gibt es sonnige, heiß brennende oder verregnete, trübsinnige oder auch weich wehende Stimmungen. Das Hören eines Ragas gleicht einer Wanderung durch die Klangnatur der Töne. Die Wege durch eine Landschaft sind schlängelig oder gerade, sie erfordern ein nach oben steigen oder einen Sprung nach unten. Wenn man um die Wirkung der Töne und ihres Intervallverhaltens zueinander weiß, ist es möglich, sie gezielt einzusetzen, um Gestimmtheiten hervorzurufen und zu verwandeln. In der indischen klassischen Musik ist das Wissen darum eine jahrtausende alte erforschte und erprobte Wissenschaft. Vemu Mukunda plädierte dafür, in der Musiktherapie Intervallstimmungen und Melodien aus allen Kulturkreisen als Möglichkeit zur Heilung hinzuziehen. Im Rahmen der Ausbildung gab er Hinweise, wie einzelne Töne oder Intervalle als Melodiefloskeln komponiert werden können. Damit wäre es möglich, vom individuellen Grundton der jeweiligen Person ausgehend, Körperzonen oder –punkte klanglich zu berühren, um ein emotionales oder körperliches Symptom zur Auflösung und Heilung zu bringen. 
Für uns westliche Menschen kann aus dem Wissen um die Wirkung von Tönen und Intervallen ein neuer Zugang zum Körperhören und –fühlen erwachsen. Wir könnten uns damit auf tiefere Verständnisebenen gegenüber allem vegetativen Werden und stimmungsmäßigen Ausdruck des Lebens einlassen.  

Claudiha-Gayatri Matussek, München
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